Thomas Preinl
Im September 1995 begab sich in einem oberpfälzer Dorf namens Grafenwöhr ein junger Mann auf eine Reise, von der er nie zurückkehren sollte.
Er hatte über ein Austausch-Programm einen Studienplatz in Oxford erhalten und stieg nur zum Tanken in Belgien aus seinem Auto, bevor er nach 13 Stunden sein erstes Ziel erreicht hatte.
Er traf interessante Menschen und las noch interessantere Bücher, verliebte sich in klassische Musik, Kino-Kunst und Opernsängerinnen. Durch Zufall kam er zu einem Praktikum bei British Airways, Kurierdienste brachten ihn nach Barcelona, Boston, Bangkok oder Rio de Janeiro. Im Rahmen eines „International Management“-Studiums folgte ein zweites Praktikum bei einer New Yorker Bank in Wall-Street-Nähe. Die acht Monate in Manhattan veränderten sein Leben endgültig. Er kehrte nur nach Deutschland zurück, um sein Studium abzuschließen, schrieb seine Diplomarbeit über „Finanzpapiere“, die Jahre später eine weltweite Krise auslösen sollten, lehnte ein gut dotiertes Angebot als „Management Consultant“ ab, um stattdessen bei Lufthansa in Paris eine Ausbildung zum kaufmännischen Leiter zu absolvieren. Weil internationale Buchhaltung ihm bald so aufregend erschien wie deutsche Buchhaltung, wechselte er von den Erbsenzählern zu den Erbsen-Fabriken-Zählern und machte als Controller soziologisch interessante Erfahrungen im Bereich von Herrn Sattelberger. Ein Kollege in der Personalentwicklung erkannte seine wahre Bestimmung und vermittelte ihm die perfekte Stelle: Pressesprecher Afrika/Arabien.
Am Tag von Amtsübergabe und Einarbeitung aber krachten Flugzeuge ins World-Trade-Center, in kürzester Zeit kannte er alle Hauptstädte der arabischen Staaten und die Lufthansa-Verbindungen dorthin auswendig.
Bezahlung oder Arbeitsstunden waren ihm egal, er kannte weder Wochenende noch Sonnenuntergang, hielt Pressekonferenzen in Dubai, Saudi-Arabien, Ägypten, im Yemen, Libanon oder im Iran ab, unterstützte Erstanflüge in exotische afrikanische oder orientalische Zielorte und brachte Lufthansa und seine Produkte Hunderten von Journalisten auch persönlich nahe.
Sein Bereichsleiter maßregelte ihn nach ein paar Jahren mit den Worten: „Sie fallen auf im Konzern, überall wo ich hinkomme, kennt man Sie schon. Sie arbeiten zu viel, das ist ein echtes Problem. Und Sie tragen immer weiße Anzüge, das geht nicht.“
Ein paar Jahre später hatte man ihm seine Stelle ganz weggenommen. Er saß lange in einem Sterbezimmer, suchte nach neuen Herausforderungen – und fand sie in der Mitbestimmung, seit 2014 mit einer eigenen Liste im Betriebsrat, seit 2018 bei der Vereinigung Boden. Sein grenzenloser Idealismus hat sich im Lauf der Jahre in wirkungsvollen Pragmatismus umgewandelt. Er hat aber die Hoffnung, dass sich die Welt zum Besseren verändert, noch nicht aufgegeben.
Im Betriebsrat Frankfurt kümmert er sich vor allem um die Kommunikation. Er berät aber auch viele Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit Konflikten.
Nebenberuflich widmet er sich dem Aufbau einer Bibliothek, der detaillierten Beschreibung des Irrenhauses und dem gelegentlichen Kauf von Lufthansa-ID-Tickets: Von den 193 UN-Mitgliedsstaaten fehlen ihm noch 12 Länder.