01.08.2017

Tarifeinheitsgesetz auf dem Prüfstand

Über viele Jahrzehnte hatte die andauernde ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dafür gesorgt, dass der Grundsatz der Tarifeinheit geltendes Recht war. Unter Tarifeinheit versteht man eine Kollisionsregel, die zur Anwendung kommt, wenn mehrere Tarifverträge zum Beispiel in einem Betrieb auf den gleichen Sachverhalt zur Anwendung kommen können.

Im Jahr 2010 haben zwei Senate des Bundesarbeitsgerichts diese Regel verlassen und entschieden, es fehle der übergeordnete Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten.


Tarifeinheitsgesetz © Kamasigns fotolia

Im Jahr 2010 haben zwei Senate des Bundesarbeitsgerichts diese Regel verlassen und entschieden, es fehle der übergeordnete Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten.

Am 10. Juli 2015 trat das von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegte Gesetz zur Tarifeinheit in Kraft. Es sieht vor, dass bei mehreren, kollidierenden Tarifverträgen in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft zur Anwendung kommt, die die meisten Mitglieder in diesem Betrieb hat. Ziel war u.a. die Verhinderung von Streiks, mit denen kleinere Spartengewerkschaften „das Land lahm legen könnten“.

Die unmittelbar schon in der Entwurfsphase laut werdende Kritik sah eine erhebliche Gefährdung der im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit und des Streikrechts. In der Folge legten die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Pilotenvereinigung Cockpit (VC), die Unabhängige Flugbegleiterorganisation (UFO), der Marburger Bund, der Deutsche Journalistenverband, der Beamtenbund (dbb), die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) und am Ende auch die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) Verfassungsbeschwerde ein. Eine vorher beantragte einstweilige Verfügung gegen das Gesetz war vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt worden.

Mündliche Verhandlung

In der zweitägigen mündlichen Verhandlung im Januar 2017 in Karlsruhe machten die Kläger die massive Grundrechtsverletzung noch einmal deutlich. Die Bundesregierung verteidigte das Gesetz ohne klar darlegen zu können, welchem Zweck es eigentlich diene.

Entscheidung

Am 11. Juli 2017 hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung nun verkündet. Das Tarifeinheitsgesetz sei weitestgehend mit dem Grundgesetz vereinbar. Zwei der insgesamt acht Richter halten das Gesetz allerdings für teilweise verfassungswidrig, da es Grundrechte unzumutbar beeinträchtige. Obwohl mit diesem Spruch die Klage abgewiesen wurde, verlangt das Gericht bis zum 31.12.2018 Nachbesserungen von der Bundesregierung, damit bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge die Interessen einzelner Berufsgruppen nicht einseitig benachteiligt werden. Bis zum Ende des Jahres 2018 kann, "wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat" ein Tarifvertrag einen anderen verdrängen. Bei Streitigkeiten sollen Arbeitsgerichte entscheiden, welche Gewerkschaft die meisten Mitglieder hat und damit den „richtigen“ Tarifvertrag festlegen. Tarifverträge zur Alterssicherung, zur Lebensarbeitszeit und zur Arbeitsplatzgarantie hat das Gericht von der Verdrängung ausdrücklich ausgenommen.

Bewertung

Auf der Klägerseite machte sich Enttäuschung über das Urteil breit, wenngleich das Gericht das Streikrecht von Minderheitsgewerkschaften ausdrücklich gestärkt hat. Das Urteil schaffe aber neue Rechtsunsicherheiten und verlagert die Klärung zur Umsetzung von Tarifverträgen im Zweifel auf die Arbeitsgerichte.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sieht z. B. im vom Gericht festgestellten „Nachzeichnungsrecht“ (die kleinere kann den von der größeren Gewerkschaft ausgehandelten Tarifvertrag nachzeichnen) eine „Veredelung des Trittbrettfahrertums“ und sieht im Urteil „wenig Licht, viel Schatten“.

Nun gilt es abzuwarten, wie die Bundesregierung die Auflage des Gerichts umsetzt und das Gesetz entsprechend ergänzt.


Gesetz Tarifeinheitsgesetz Autor: Werner Langendörfer

Wir verwenden Cookies um die Website effektiver und benutzerfreundlicher zu machen.
Indem Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.